Landschaft in Pakistan © DAHW
2. September 2024
Landschaft in Pakistan © DAHW
2. September 2024
„Warum heilt meine Nase nicht?“ - Zain muss nach Rawalpindi
Dr. Chris Schmotzer ist Leiterin des „Rawalpindi Leprosy Hospital“ in Rewalpindi, der viertbevölkerungsreichsten Stadt Pakistans. Seit Jahrzehnten werden dort Menschen mit Lepra therapiert. Die meisten Patient:innen können heutzutage dank wirksamer Medikamente und gezielter Gesundheitsarbeit geheilt in ihre Familien zurückkehren. Mittlerweile werden dort auch vernachlässigte tropische Erkrankungen und komplizierte Tuberkulosefälle behandelt. Heute möchte Dr. Schmotzer die Geschichte des jungen Patienten Zain und seiner Mutter erzählen, die vor einiger Zeit das Krankenhaus aufsuchten.
Liebe Leser:innen,
Zain Abbasi ist drei Jahre alt und kommt aus Nathia Gali, einem wunderschön gelegenen pakistanischen Urlaubsort in den Vorbergen des Himalayas auf über 2.500 Metern Höhe. Seit der britischen Kolonialzeit hat die reiche Oberschicht dort die Sommerzeit verbracht und sich schöne Villen und Gärten angelegt. Dazwischen lebt in kleinen, oft schlecht gebauten Stein-Lehmhäuschen die ärmere Bevölkerung. Das ist bis heute so geblieben, obwohl die wunderschönen dichten Nadelwälder der Umgebung immer mehr abgeholzt werden und es in der Gegend trockener und staubiger wird.
Für Zain Abbasi ist das noch kein Thema. Aber seine Mutter macht sich Sorgen. Vor einem halben Jahr entwickelte sich ein nicht-heilendes Geschwür an ihrer linken Wange. Erst war es ein rötlicher, fingernagelgroßer Hautfleck, der sich bald zu einem eitrigen Abszess wurde. Ihr jüngstes Kind entwickelt nun das gleiche auf der Nase. Nathiagali liegt mehr als zwei Stunden Autofahrt vom Krankenhaus in Rawalpindi entfernt, aber die Familie hat beschlossen, dass beide Patient:innen die Hautsprechstunde des Rawalpindi Leprosy Hospital besuchen sollten. Das war eine gute Idee, wie sich schnell herausstellen sollte.
Es gibt bisher kein Vorbeugeprogramm für die Erkrankung, die Behandlung ist kompliziert und teuer, weil die Mehrheit der Patienten:innen drei Wochen lang täglich eine nur schwer erhältliche Injektion braucht, die zudem erhebliche Nebenwirkungen haben kann.
Für unsere Hautärztin ist die Verdachtsdiagnose klar: Es handelt sich sehr wahrscheinlich um eine kutane Leishmaniose, auf Deutsch eine „Orientbeule“, eine durch Parasiten verursachte Krankheit, genau genommen von Säugetieren wie Ziegen oder Ratten, die durch eine bestimmte Art von Sandfliegen übertragen wird. Nach Durchführung der notwendigen Laboruntersuchungen können wir bei Mutter und Sohn die Diagnose bestätigen und die Behandlung beginnen. Früher war diese Krankheit nur entlang des Industals und in den trockenen, bergigen Gebieten Richtung Afghanistan bekannt. Heute kommen immer mehr der Leishmaniasepatient:innen aus den früher viel stärker bewaldeten Berggebieten des Karakorums und Himalaya. Es regnet dort weniger als früher, die Sommer sind länger und heißer, und es leben viel mehr Menschen und Tiere in dem Gebiet . Die Abholzung der Wälder schreitet mehr und mehr voran, die grasbewachsenen Berghänge sind überweidet. Es ist scheint, dass sowohl die Parasiten als auch die Sandfliegen ihr Einzugsgebiet ausgedehnt haben. Es gibt bisher kein Vorbeugeprogramm für die Erkrankung, die Behandlung ist kompliziert und teuer, weil die Mehrheit der Patienten:innen drei Wochen lang täglich eine nur schwer erhältliche Injektion braucht, die zudem erhebliche Nebenwirkungen haben kann, und deshalb genau überwacht werden muss. Zain und seine Mutter müssen also im Krankenhaus stationär aufgenommen werden. Ihr Heimatort ist zu weit entfernt, um täglich in die Ambulanz zu reisen.
Bei der Visite treffe ich die beiden wieder. Sie strahlen mich an und nehmen die Tatsache, dass sie bei uns bleiben müssen, gelassen. Zain erträgt die unangenehmen täglichen Verbandswechsel mit Bravour. Seine Mutter hat sich mit anderen Frauen im Zimmer angefreundet und findet „alles gut“. Jedes Mal, wenn ich mit ihr spreche, zeigt sie ihr strahlendes Lächeln. Für mich scheint es fast, als sei sie froh, einmal eine Pause von ihrem harten Arbeitsalltag in den Bergen zu haben, kein Holz im Wald holen zu müssen, sich drei Mahlzeiten am Tag zu beschaffen, nicht Wasser von einer weitentfernten Quelle holen zu müssen. Fast sieht es so aus , als sei es für sie der erste Urlaub ihres harten Lebens in den Bergen.
Es ist dringend notwendig, dass das medizinische Personal der Basis-Gesundheitsversorgung im Rawalpindi Leprosy Hospital mehr über die kutane Leishmaniose und ihre Vorbeugung, Diagnose und Behandlung lernt, damit die Menschen vor Ort die nötige Hilfe bekommen können.
Bei Zain wird es Zeit brauchen, bis die Nase heilt und die Beule verschwunden ist, aber er wird sich wieder sehen lassen können . Üblicherweise ist nach einer etwa dreimonatigen Behandlung nur noch eine kleine, unscheinbare Narbe zu sehen. Für seine Mutter kommt diese Behandlung etwas zu spät – sie wird den Rest ihres Lebens mit einer sichtbaren Narbe im Gesicht leben müssen. Aber sie wird den anderen Frauen im Dorf von einer anderen Welt berichten können, die sie so tapfer gemeistert hat. Ich finde es bereichernd, solchen Menschen zu begegnen.
Mit herzlichen Grüßen aus Pakistan
Ihre Dr. Chris Schmotzer
Leiterin des Rawalpindi Leprosy Hospitals in Pakistan, Lepra- und Tuberkulose-Expertin