Landschaft in Georgien © Ms. Ia Ebralidze / Elkana
Ein bisschen für die Vögel, ein bisschen für die Mäuse, ein bisschen für uns…
Liebe Leser:innen,
mein Name ist Anzor Maisuradze. Ich bin 45 Jahre alt und Landwirt aus Nabakhtevi, einem Dorf in der Region Shida Kartli in Georgien. Ich bin hier nicht nur für den Boden unter meinen Füßen verantwortlich, sondern auch für das Erbe unserer Region – ein Erbe, das während der Sowjetzeit fast verloren ging.
Damals lag der Fokus auf industriellen Nutzpflanzen, die lokale Sorten verdrängten und traditionelles landwirtschaftliches Wissen fast in Vergessenheit geraten ließen. Seit 2007 habe ich, unterstützt von der Biologischen Landwirtschaftsvereinigung Elkana, eine außergewöhnliche Aufgabe übernommen: Ich widme mich der Wiederbelebung der alten Getreide- und Hülsenfruchtsorten, die hier früher wuchsen. Samen wie Dika-Weizen, Akhaltsikhis Tsiteli Doli und andere, deren Namen den Geist unserer Erde in Erinnerung rufen. Diese Samen, die in unserem Boden geboren und von georgischem Regen, Wind und Sonne geprägt wurden, sind widerstandsfähig wie keine der modernen Sorten.
Meine Reise als Landwirt begann vor zwanzig Jahren auf bescheidenen 1,5 Hektar Land. Heute baue ich auf einer Fläche von 51 Hektar Roggen, Akhaltsikhis Tsiteli Doli und Lomtagora-Weizen an. Zudem bewirtschafte ich ein Feld mit fast 150 lokalen Sorten.
Unsere Region ist in den letzten Jahren spürbar von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Dürreperioden, die sich in ihrer Häufigkeit fast verdreifacht haben, sind keine Seltenheit mehr. Doch die alten Getreide- und Hülsenfruchtsorten zeigen – genau wie langjährige Freunde – eine besondere Stärke und überraschen mit ihrer Fähigkeit, dem unberechenbaren Wetter, sei es Trockenheit oder Frost, zu trotzen. In den letzten zwei Jahren sahen meine Nachbarinnen und Nachbarn enttäuscht zu, wie ihre Felder mit modernen Hybridsorten dem Frost erlagen. Meine alten Sorten hingegen standen unerschütterlich – fast, als wollten sie der Natur trotzen. Interessanterweise hielten auch einheimische Obstbäume dem Frost besser stand als nicht-einheimische Arten. Dies zeigt: Der Anbau einheimischer Sorten ist nicht nur eine Nahrungsquelle, sondern auch eine Grundlage für Resilienz und eine entscheidende Strategie im Umgang mit dem Klimawandel.
Der Anbau einheimischer Sorten ist nicht nur eine Nahrungsquelle, sondern auch eine Grundlage für Resilienz und eine entscheidende Strategie im Umgang mit dem Klimawandel.
Anzor Maisuradze
In der Vergangenheit haben intensive Anbaumethoden die Böden weiter ausgelaugt. Heute bewirtschafte ich meine Felder ohne den Einsatz von synthetischen Düngemitteln oder Pestiziden. Stattdessen setze ich auf organische Methoden wie Fruchtfolge und natürliche Bodenverbesserung. Wo meine Vorgängerinnen und Vorgänger zu Sowjetzeiten oft die Felder nach der Ernte abbrannten und den Boden seiner Lebenskraft beraubten, arbeite ich die Ernterückstände in den Boden ein und hinterlasse eine reichhaltige organische Schicht. Zwei Tonnen Pflanzenreste pro Jahr – ein Geschenk an die Erde, die uns trägt. Es mag ein bescheidenes Ritual sein, doch in diesem Kreislauf des Zurückgebens fühle ich, wie ich eine Lebendigkeit wiederherstelle, die einst dem sogenannten Fortschritt geopfert wurde.
Für mich ist die Landwirtschaft nicht nur ein Mittel zum Lebensunterhalt. Es ist die Wiederbelebung des Landes, ein Verweben von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ich weiß noch genau, wie stolz ich war, als ich die erste Ernte dieser alten Getreidesorten einholte. Ältere Dorfbewohner kamen und sprachen mit leuchtenden Augen über weiße Hirse und andere Kulturen, die einst das Rückgrat unseres Volkes bildeten. Es war, als hätten diese Körner etwas freigesetzt – eine Erinnerung, eine Freude, ein Lächeln, das fast vergessen war. In diesem Moment wusste ich, dass meine Aufgabe nicht nur das Anbauen, sondern auch das Bewahren ist – eine Ehrung unserer Identität.
Doch der Anbau dieser alten Getreidesorten ist nicht nur ein Akt der Nostalgie; er ist eine Investition in eine Zukunft, in der wir im Einklang mit der Natur leben. Ich nehme es den Mäusen, die durch meine Felder huschen, oder den Vögeln, die nach Samen picken, nicht übel. Sie sind Teil des Kreislaufs, eine Erinnerung daran, dass das Leben auf diesem Ackerland ein gemeinschaftliches Unterfangen ist.
Ich lebe nach einem alten Sprichwort: Ein bisschen für die Vögel, ein bisschen für die Mäuse, ein bisschen für uns. Landwirtschaft, so habe ich gelernt, ist kein Erobern der Natur, sondern ein harmonischer Tanz mit ihr.
Am Ende ist die wahre Ernte nicht die, die wir im Herbst einfahren. Es ist die, die über unsere Lebenszeit hinaus Bestand hat. Die Samen, die ich heute säe, sind nicht nur für mich selbst – sie sind für die Vögel, die Mäuse und für jene, die eines Tages auf dieser Erde wandeln werden, wenn ich längst nicht mehr da bin. In dieser Handlung, in diesem bleibenden Vermächtnis, finde ich den tiefsten Sinn meiner Arbeit.
Ja, ein bisschen für uns. Aber immer auch ein bisschen für sie.
Herzlichst,
Anzor Maisuradze, Biolandwirt und Mitglied der Biologischen Landwirtschaftsvereinigung Elkana, einer Partnerorganisation von Brot für die Welt
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