“Die Schwächsten sind unsichtbar geworden.“ Eine Nothelferin teilt ihre Eindrücke aus dem Erdbebengebiet

Roxana ist Leiterin der Abteilung Programmentwicklung und Qualität im Welthungerhilfe-Länderbüro für Syrien, die Türkei und den Libanon mit Sitz in Ankara. Sie reist häufig zu verschiedenen Projektstandorten, um die Qualität der Hilfsmaßnahmen zu überwachen, und erfährt so aus eigener Hand, wie die Lebensbedingungen der Betroffenen heute, ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben im Südosten der Türkei und im Norden von Syrien, aussehen. Für uns schrieb die 39-Jährige in ihren eigenen Worten ihre Eindrücke nieder.

Die Situation in den am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebieten bleibt düster, insbesondere für diejenigen, die schon vorher zu den Schwächsten gehörten und die jetzt quasi unsichtbar geworden sind. Unsichtbar, weil sie das Gefühl haben, dass sich niemand mehr um sie kümmert und sie im Stich gelassen werden. Es werden immer viele Zahlen genannt, um den Menschen einen Überblick über die schreckliche Katastrophe zu verschaffen, die am 6. Februar die Türkei und Syrien getroffen hat. Wie viele Menschen wurden verletzt, wie viele haben ihr Zuhause verloren, ihr Leben oder ihre Existenz? Sieht man jedoch mit eigenen Augen, welche Verwüstung die Beben angerichtet haben, so ist man schier überwältigt vom Ausmaß der Zerstörung und der Verzweiflung. Weder Worte noch Zahlen können das vermitteln, was man erlebt, wenn man diese Gebiete besucht. Diese Bilder kriegt man nicht mehr aus dem Kopf.

Roxana , Leiterin Abteilung Programmentwicklung und Qualität Welthungerhilfe

Roxana (39) arbeitet im türkischen Landesbüro der Welthungerhilfe.

Viele Syrer:innen und Türk:innen in der Türkei leben noch immer in Containern und haben nur eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Dingen wie Wasser, sanitären Einrichtungen, Gesundheitsversorgung und Bildung. Die provisorischen Siedlungen und Lager sind isoliert, weit weg von Städten und jeder Form von Lebensgrundlage, was bedeutet, dass Hunderttausende auf Unterstützung angewiesen sind, ohne eine Möglichkeit, ihre Würde wiederherzustellen.

„Weder Worte noch Zahlen können das vermitteln, was man erlebt, wenn man diese Gebiete besucht. Diese Bilder kriegt man nicht mehr aus dem Kopf.“

Die fehlende Beleuchtung in der Nacht macht es Frauen und Mädchen in den Lagern unmöglich, Toiletten sicher zu benutzen, aus Angst vor sexuellen Übergriffen. Der Zugang zu Hygienekits für Frauen ist ebenfalls ein Problem. Geschlechtsbezogene Gewalt hat mit der Hausquarantäne von Frauen und dem Schulabbruch von Mädchen stark zugenommen. Kinder haben im Allgemeinen ihre Lebensfreude verloren. Familien haben kein Geld, um sie zur Schule zu schicken. Manchmal gibt es keine Schule oder sie erfordert Transport und Geld für Bücher. Die meisten Familien können sich das nicht leisten. Einige Kinder, insbesondere Jungen, belastet die wirtschaftliche Lage ihrer Familie so sehr, dass sie die Schule abbrechen, um zu arbeiten und die Familie finanziell zu unterstützen. Kinderfreundliche Räume und Parks sind in Gebieten, in denen Geflüchtete leben, praktisch nicht vorhanden. Es ist ein trauriger Anblick, zu sehen, wie die Kinder einfach in den Lagern herumtoben.

In Syrien ist die Situation noch schlimmer. In der Türkei baut die Regierung kontinuierlich die Infrastruktur auf und aus, baut neue Wohnungen und Häuser, stellt Container für vorübergehendes Wohnen bereit. In Syrien leben die Menschen jedoch weiterhin in Zelten oder stark beschädigten Gebäuden im eisigen Winter, dem sie so quasi schutzlos ausgeliefert sind. Heizöl ist extrem teuer und für die meisten Menschen unerschwinglich. Es ist erschreckend, wie kalt es wird, wenn man nur ein paar Minuten in diesen Häusern sitzt.

Vor zwei Wochen war ich auf einem Feldbesuch in Syrien. Jaindiris ist eines der am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebiete. Die Situation dort ist nach wie vor schwierig. Überall sieht man Menschen, die eilig versuchen, sich ihren Lebensunterhalt inmitten von Trümmern und Müll zu verdienen. Es gibt keine befestigten Straßen und es regnete, also war es sehr schlammig. Dieser Schlamm bleibt einem an der Kleidung haften, egal wie sehr man versucht, ihn zu entfernen. Genau wie die Erinnerung an das Erdbeben und den Staub, der durch die Zerstörung so vieler Gebäude entstanden ist. Ich sah Kinder barfuß im Viertel herumlaufen, um ihre Häuser herum, voller Schlamm. Sie sollten in der Schule sein, aber die Eltern können sich keine Schulmaterialien leisten. Ich sah so viele einsturzgefährdete Gebäude, die Geschäfte beherbergten, mittels derer die Menschen weiterhin ihren Lebensunterhalt bestreiten, einfach weil sie keine andere Wahl haben. “Entweder lebst du so oder du stirbst.“ Das wurde uns gesagt, als wir unsere Sorgen über die Situation zum Ausdruck brachten.

„Dieser Schlamm bleibt einem an der Kleidung haften, egal wie sehr man versucht, ihn zu entfernen. Genau wie die Erinnerung an das Erdbeben und den Staub, der durch die Zerstörung so vieler Gebäude entstanden ist.“

Die Menschen haben immer noch so große Angst vor Erdbeben, dass selbst diejenigen, die ihr Haus nicht verloren haben, ein Zelt im Garten aufgestellt haben und nun dortbleiben. Ihre Erinnerung an das Ereignis lässt sie nachts nicht schlafen, auch ein Jahr danach nicht. Psychologische Unterstützung ist sehr begrenzt und die meisten Menschen haben Hemmungen, sie in Anspruch zu nehmen, aus Scham und aus Angst vor Stigmatisierung. Es gibt nur wenige Arbeitsmöglichkeiten. Das macht es den Menschen schwer, das sprichwörtliche Licht am Ende des dunklen Tunnels zu sehen, in den das Land vor 12 Jahren mit Beginn des Krieges gestürzt wurde.

Der größte Wunsch der Menschen ist es, den Winter zu überstehen. Weniger zu frieren und zu hungern. Die Kinder wünschen sich am sehnlichsten gesunde Eltern, die nicht jeden Tag angespannt und verärgert sind. Sie würden gerne Freunde finden und in Parks spielen, zur Schule gehen und irgendwann eine Arbeit haben, um ihre Eltern zu unterstützen.

So können Sie helfen

Die Hilfsmaßnahmen dauern weiter an. Unterstützen Sie unserer Mitgliedsorganisationen und ihre Partner in der Erdbebenregion mit Ihrer Spende. Jeder Beitrag hilft.

“Die Schwächsten sind unsichtbar geworden.“ Eine Nothelferin teilt ihre Eindrücke aus dem Erdbebengebiet

Roxana , Leiterin Abteilung Programmentwicklung und Qualität Welthungerhilfe

Roxana (39) arbeitet im türkischen Landesbüro der Welthungerhilfe.

Roxana ist Leiterin der Abteilung Programmentwicklung und Qualität im Welthungerhilfe-Länderbüro für Syrien, die Türkei und den Libanon mit Sitz in Ankara. Sie reist häufig zu verschiedenen Projektstandorten, um die Qualität der Hilfsmaßnahmen zu überwachen, und erfährt so aus eigener Hand, wie die Lebensbedingungen der Betroffenen heute, ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben im Südosten der Türkei und im Norden von Syrien, aussehen. Für uns schrieb die 39-Jährige in ihren eigenen Worten ihre Eindrücke nieder.

Die Situation in den am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebieten bleibt düster, insbesondere für diejenigen, die schon vorher zu den Schwächsten gehörten und die jetzt quasi unsichtbar geworden sind. Unsichtbar, weil sie das Gefühl haben, dass sich niemand mehr um sie kümmert und sie im Stich gelassen werden. Es werden immer viele Zahlen genannt, um den Menschen einen Überblick über die schreckliche Katastrophe zu verschaffen, die am 6. Februar die Türkei und Syrien getroffen hat. Wie viele Menschen wurden verletzt, wie viele haben ihr Zuhause verloren, ihr Leben oder ihre Existenz? Sieht man jedoch mit eigenen Augen, welche Verwüstung die Beben angerichtet haben, so ist man schier überwältigt vom Ausmaß der Zerstörung und der Verzweiflung. Weder Worte noch Zahlen können das vermitteln, was man erlebt, wenn man diese Gebiete besucht. Diese Bilder kriegt man nicht mehr aus dem Kopf.

Viele Syrer:innen und Türk:innen in der Türkei leben noch immer in Containern und haben nur eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Dingen wie Wasser, sanitären Einrichtungen, Gesundheitsversorgung und Bildung. Die provisorischen Siedlungen und Lager sind isoliert, weit weg von Städten und jeder Form von Lebensgrundlage, was bedeutet, dass Hunderttausende auf Unterstützung angewiesen sind, ohne eine Möglichkeit, ihre Würde wiederherzustellen.

„Weder Worte noch Zahlen können das vermitteln, was man erlebt, wenn man diese Gebiete besucht. Diese Bilder kriegt man nicht mehr aus dem Kopf.“

Die fehlende Beleuchtung in der Nacht macht es Frauen und Mädchen in den Lagern unmöglich, Toiletten sicher zu benutzen, aus Angst vor sexuellen Übergriffen. Der Zugang zu Hygienekits für Frauen ist ebenfalls ein Problem. Geschlechtsbezogene Gewalt hat mit der Hausquarantäne von Frauen und dem Schulabbruch von Mädchen stark zugenommen. Kinder haben im Allgemeinen ihre Lebensfreude verloren. Familien haben kein Geld, um sie zur Schule zu schicken. Manchmal gibt es keine Schule oder sie erfordert Transport und Geld für Bücher. Die meisten Familien können sich das nicht leisten. Einige Kinder, insbesondere Jungen, belastet die wirtschaftliche Lage ihrer Familie so sehr, dass sie die Schule abbrechen, um zu arbeiten und die Familie finanziell zu unterstützen. Kinderfreundliche Räume und Parks sind in Gebieten, in denen Geflüchtete leben, praktisch nicht vorhanden. Es ist ein trauriger Anblick, zu sehen, wie die Kinder einfach in den Lagern herumtoben.

In Syrien ist die Situation noch schlimmer. In der Türkei baut die Regierung kontinuierlich die Infrastruktur auf und aus, baut neue Wohnungen und Häuser, stellt Container für vorübergehendes Wohnen bereit. In Syrien leben die Menschen jedoch weiterhin in Zelten oder stark beschädigten Gebäuden im eisigen Winter, dem sie so quasi schutzlos ausgeliefert sind. Heizöl ist extrem teuer und für die meisten Menschen unerschwinglich. Es ist erschreckend, wie kalt es wird, wenn man nur ein paar Minuten in diesen Häusern sitzt.

Vor zwei Wochen war ich auf einem Feldbesuch in Syrien. Jaindiris ist eines der am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebiete. Die Situation dort ist nach wie vor schwierig. Überall sieht man Menschen, die eilig versuchen, sich ihren Lebensunterhalt inmitten von Trümmern und Müll zu verdienen. Es gibt keine befestigten Straßen und es regnete, also war es sehr schlammig. Dieser Schlamm bleibt einem an der Kleidung haften, egal wie sehr man versucht, ihn zu entfernen. Genau wie die Erinnerung an das Erdbeben und den Staub, der durch die Zerstörung so vieler Gebäude entstanden ist. Ich sah Kinder barfuß im Viertel herumlaufen, um ihre Häuser herum, voller Schlamm. Sie sollten in der Schule sein, aber die Eltern können sich keine Schulmaterialien leisten. Ich sah so viele einsturzgefährdete Gebäude, die Geschäfte beherbergten, mittels derer die Menschen weiterhin ihren Lebensunterhalt bestreiten, einfach weil sie keine andere Wahl haben. “Entweder lebst du so oder du stirbst.“ Das wurde uns gesagt, als wir unsere Sorgen über die Situation zum Ausdruck brachten.

„Dieser Schlamm bleibt einem an der Kleidung haften, egal wie sehr man versucht, ihn zu entfernen. Genau wie die Erinnerung an das Erdbeben und den Staub, der durch die Zerstörung so vieler Gebäude entstanden ist.“

Die Menschen haben immer noch so große Angst vor Erdbeben, dass selbst diejenigen, die ihr Haus nicht verloren haben, ein Zelt im Garten aufgestellt haben und nun dortbleiben. Ihre Erinnerung an das Ereignis lässt sie nachts nicht schlafen, auch ein Jahr danach nicht. Psychologische Unterstützung ist sehr begrenzt und die meisten Menschen haben Hemmungen, sie in Anspruch zu nehmen, aus Scham und aus Angst vor Stigmatisierung. Es gibt nur wenige Arbeitsmöglichkeiten. Das macht es den Menschen schwer, das sprichwörtliche Licht am Ende des dunklen Tunnels zu sehen, in den das Land vor 12 Jahren mit Beginn des Krieges gestürzt wurde.

Der größte Wunsch der Menschen ist es, den Winter zu überstehen. Weniger zu frieren und zu hungern. Die Kinder wünschen sich am sehnlichsten gesunde Eltern, die nicht jeden Tag angespannt und verärgert sind. Sie würden gerne Freunde finden und in Parks spielen, zur Schule gehen und irgendwann eine Arbeit haben, um ihre Eltern zu unterstützen.

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