15. Oktober 2024
Südsudan: Hilfe für sudanesische Geflüchtete unter schwierigen Voraussetzungen
Seit Mitte April 2023 tobt im Sudan ein Machtkampf zwischen den Streitkräften unter General Abdel Fattah Abdelrahman Burhan und der paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF), angeführt von Mohammed Hamdan Daglo. Der Konflikt hat bereits zehntausende Tote gefordert, Millionen sind auf der Flucht, und die humanitäre Lage im Land ist höchst besorgniserregend. Laut den Vereinten Nationen droht ein Genozid in der Darfur-Region, während Hilfsorganisationen zunehmend aus dem Land vertrieben werden. Doch auch der benachbarte Südsudan, der bereits etwa eine halbe Million sudanesische Geflüchtete aufgenommen hat, kämpft mit den Folgen dieses verheerenden Konflikts.
Chris Hartmann ist Programmkoordinator Humanitäre Hilfe bei terre des hommes Deutschland und verbringt regelmäßig Zeit im Südsudan. Er ist zuständig für die Planung, Konzeption und Begleitung von Hilfsmaßnahmen und arbeitet eng mit lokalen und internationalen Partnerorganisationen zusammen. Im Interview gibt er uns Einblicke aus dem Südsudan und berichtet über die herausfordernde Unterstützungsarbeit für Geflüchtete.

Geflüchtete Rückkehrer:innen im Grenzstützpunkt Joda warten auf den Transport zum Transitcamp in Renk. © JRS (Jesuit Refugee Service)
Bündnis Entwicklung Hilft: Herr Hartmann, wie erleben Sie die aktuelle Situation im Südsudan als Aufnahmeland für sudanesische Geflüchtete?
Chris Hartmann: Immer noch fliehen täglich zahlreiche Menschen aus dem Sudan in den Südsudan, vor allem in die Ortschaft Renk, die für viele der Geflüchteten ein erster Anlaufpunkt ist. Dort hat das UNHCR zusammen mit der südsudanesischen Regierung zwei Aufnahmezentren eingerichtet, die allerdings bereits an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Überschwemmungen in Renk und Maban verschärfen die ohnehin schwierige Lage zusätzlich.
Viele der Geflüchteten, darunter auch südsudanesische Rückkehrer:innen, leiden unter Unterernährung, besonders Kinder. Obwohl das Welternährungsprogramm (WFP) Lebensmittel und Bargeldhilfen verteilt, mussten diese Maßnahmen wegen Finanzierungsproblemen stark reduziert werden. Zudem haben die Geflüchteten oft keinen Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen, um ihre Situation zu verbessern.
Etwa 255.000 Kinder und Jugendliche sind mit ihren Familien in den Südsudan geflohen. Das schwache Bildungssystem des Landes kann den zusätzlichen Bedarf nicht bewältigen, und auch in den Aufnahmezentren gibt es kaum Bildungsangebote. Frauen und Kinder sind besonders von den schwierigen Bedingungen betroffen, mit zunehmenden Fällen von Gewalt, Kinderarbeit und häuslicher Gewalt. Zusätzlich belasten die harten Lebensbedingungen und der Verlust von Angehörigen und Besitz die psychische Gesundheit der Betroffenen.
Was sind die größten Hindernisse für humanitäre Hilfsorganisationen, um Hilfsgüter in den Südsudan und zu den betroffenen Geflüchteten zu bringen?
Neben der steigenden Zahl an Geflüchteten sind es derzeit vor allem die schweren Regenfälle und Überschwemmungen im Norden des Südsudan, die humanitäre Maßnahmen erschweren. Dadurch sind vor allem die Logistik und der Transport beeinträchtigt, aber auch die Unterbringung von Geflüchteten in andere Regionen des Landes.
Die schwierige wirtschaftliche Lage und die hohe Inflation wirken sich auch auf die Bereitstellung von Hilfsmaßnahmen und -lieferungen aus. Allein im Jahr 2023 betrug die Inflationsrate im Südsudan 63 Prozent. Die Marktpreise sind gestiegen, die Löhne sind jedoch weiterhin niedrig oder werden gar nicht gezahlt. Die Kosten für die Bereitstellung von Hilfsgütern in schwer zugänglichen Gebieten steigen. Bürokratische Hürden erschweren die humanitäre Hilfe zusätzlich, ebenso neu eingeführte Steuern und Abgaben, welche die Betriebskosten weiter steigen lassen. Dies hat starke Auswirkungen auf die Kaufkraft und die Lebensqualität der Haushalte.

Chris Hartmann (48) ist Programmkoordinator Humanitäre Hilfe und zuständig für die Planung, Konzeption und Begleitung von Hilfsmaßnahmen, aktuell im Südsudan.
Welche langfristigen Strategien verfolgen Sie, um die Lebensbedingungen der Geflüchteten und der lokalen Bevölkerung zu verbessern?
Im Norden des Landes konzentrieren sich die Hilfsmaßnahmen auf psychosoziale Unterstützung von Geflüchteten und Rückkehrer:innen, um ihnen zu helfen, mit der psychischen Belastung umzugehen und gleichzeitig ihr Wohlbefinden und ihre mentale Gesundheit zu verbessern. Diese Aktivitäten werden mit friedensfördernden und versöhnenden Maßnahmen kombiniert, um die Beziehungen der verschiedenen Gruppen untereinander zu verbessern. Dies soll positive soziale Interaktionen und ein friedliches Zusammenleben zwischen Geflüchteten, Rückkehrer:innen und Aufnahmegemeinschaften fördern und Konflikten vorbeugen. Gleichzeitig haben eine verstärkte Integration sowie gestärkte soziale Beziehungen und Netzwerke nachweislich positive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit und Resilienz der Menschen. Zusätzlich werden Bildungsmaßnahmen in Aufnahmezentren und -gemeinden durchgeführt, um vertriebenen Kindern die Rückkehr in die Schule zu ermöglichen und die Zahl der Schulabbrecher:innen zu verringern, sodass Kinder und Jugendliche bessere Perspektiven haben.
In den südlichen Provinzen konzentrieren sich die Maßnahmen darauf, die Widerstandsfähigkeit von Geflüchteten und Aufnahmegemeinschaften durch Bildungs-, psychosoziale Unterstützungs- und Versöhnungsprogramme zu stärken. Aufgrund der relativen Sicherheit in diesen Regionen können diese Programme langfristig angelegt und um einkommenssichernde Maßnahmen erweitert werden. Schulkomitees und Lehrertrainings fördern den Aufbau von Gemeindestrukturen im Bildungsbereich. Im Bereich der Friedensförderung werden Gemeindemitglieder darin geschult, Konflikte innerhalb ihrer Gemeinschaft zu erkennen und zu lösen.
Zukünftige Maßnahmen werden sich verstärkt auf die Berufsausbildung von Jugendlichen sowie auf marktorientierte landwirtschaftliche und außerlandwirtschaftliche Aktivitäten konzentrieren. Diese sollen die wirtschaftliche Eigenständigkeit der Geflüchteten fördern und ihre Lebensgrundlagen diversifizieren. Bildung ermöglicht den Geflüchteten bessere Chancen auf Beschäftigung – sowohl im Südsudan als auch bei einer möglichen Rückkehr in ihre Heimat.
Können Sie uns mehr über die Choleraepidemie im Sudan und ihre Auswirkungen auf die Geflüchteten hier im Südsudan erzählen?
Im Dezember 2023 bestätigte das südsudanesische Gesundheitsministerium einen Cholerafall im Transitzentrum Renk, nachdem die WHO einen Choleraausbruch im Sudan gemeldet hatte. Mit Unterstützung der WHO und ihrer Partner verstärkte das Gesundheitsministerium die Vorsorgemaßnahmen. Darüber hinaus wurden Behandlungszentren eingerichtet, um auf die Fälle adäquat reagieren zu können. Insbesondere die beengten Lebensbedingungen, die hygienischen Herausforderungen in Aufnahmezentren und die Überschwemmungen begünstigen den Ausbruch von Krankheiten wie Cholera. Bisher konnte eine Ausweitung der Cholerafälle verhindert werden, dennoch ist ein kontinuierliches Monitoring erforderlich.
Wie wichtig ist die Rolle der lokalen Partner bei der Bereitstellung von Nothilfe im Südsudan?
Die aktuelle Lage erfordert die Beteiligung aller relevanten humanitären Akteure. Hierzu zählen die UN sowie internationale und lokale Nichtregierungsorganisationen. Letzteren kommt dabei eine besondere Rolle zu, da sie die Bedingungen und Bedarfe vor Ort kennen und angemessen bedienen können. Hierfür sind gute Koordination und Arbeitsteilung erforderlich. Lokale Partner müssen hierbei gefördert werden. Sie bleiben längerfristig vor Ort und können die humanitäre Hilfe in längerfristige Entwicklungszusammenarbeit übergehen lassen. Nachhaltige und dauerhafte Partnerschaften spielen eine große Rolle und bieten die Möglichkeit, ein Mindestmaß an Kontinuität herzustellen. Das fördert Verbindlichkeit und Vertrauen.
Wie sehen die aktuellen Bemühungen aus, die Wasser- und Hygieneinfrastruktur für sudanesische Geflüchtete und die lokale Bevölkerung im Südsudan zu verbessern?
Derzeit wird die Wasserversorgung in den Transitzentren hauptsächlich durch Wassertransporte verschiedener humanitärer Akteure sichergestellt. Sie ergänzen die bereits bestehenden, aber limitierten Wasserversorgungssysteme, um dem hohen Zustrom an Menschen gerecht zu werden. Die Konkurrenz zwischen Bewohner:innen und Neuankömmlingen um die knappe Ressource birgt jedoch das Risiko von Spannungen. Um die hygienischen Bedingungen zu verbessern, werden an zentralen Orten und Schulen Latrinen und Handwaschanlagen installiert oder repariert. Zusätzlich werden Hygienesets verteilt. Außerhalb der Transitzentren ist die Infrastruktur für Wasser und somit auch Hygiene sehr schwach ausgeprägt. Die Installation von haushaltsbasierten Latrinen und zentralen Wasserentnahmestellen wie Pumpen könnten den Zugang zu sauberem Wasser verbessern.
Inwiefern hat der Arba’at-Dammbruch im Sudan die humanitäre Lage verschärft und welche Auswirkungen hat dies auf die Bevölkerungsbewegungen in die Nachbarländer?
Bisher sind keine unmittelbaren Auswirkungen des Arba’at-Dammbruchs auf die humanitäre Lage und Bevölkerungsbewegungen nach und im Südsudan festzustellen. Die Hauptursache für die Vertreibung ist die Ausweitung des Konflikts auf Gebiete im Sudan, die zuvor für Binnenvertriebene als sicher gegolten haben. Täglich überqueren durchschnittlich etwa 1.600 Menschen die Grenze zum Südsudan. Mehr als 745.000 Menschen haben seit dem Ausbruch der Kämpfe in der sudanesischen Hauptstadt Khartum im April letzten Jahres die Grenze überschritten. Mehr als eine halbe Million von ihnen sind südsudanesische Rückkehrer:innen, die vor Jahren geflohen waren, als der Sudan sicher war und im Süden Krieg herrschte.

Wie beeinflussen die wiederkehrenden Dürren und Überschwemmungen im Sudan die humanitäre Lage und die Arbeit Ihrer Organisation?
Der Südsudan kämpft seit 2019 im fünften Jahr in Folge mit starken Regenfällen und Überschwemmungen. Besonders betroffen sind die Regionen Maban und Renk im Norden des Landes. Gleichzeitig kommt es in den südlicheren und zentralen Regionen immer wieder zu Dürreperioden, die die landwirtschaftliche Produktion beeinträchtigen. Die Überschwemmungen zerstören Unterkünfte, führen zum Verlust von Habseligkeiten und überfluten Schulen sowie Hygieneeinrichtungen. Diese Bedingungen begünstigen wiederum den Ausbruch wasserbedingter Krankheiten wie Cholera und anderer Durchfallerkrankungen, aber auch von Malaria, Typhus, Polio, Meningitis und Hepatitis. Auch die Helfer:innen vor Ort sind einem höheren Krankheitsrisiko ausgesetzt. Darüber hinaus wird die Infrastruktur stark in Mitleidenschaft gezogen, was den Transport und die Lagerung von Hilfsgütern erschwert. Aber auch der Alltag der Menschen ist beeinträchtigt, Ernten werden vernichtet und Absatzmärkte sind oft über längere Zeit nicht zugänglich. Das verringert die Einkommensgrundlagen. Zudem belasten mögliche gesundheitliche Folgen die Haushaltsausgaben weiter und verschärfen die bereits schwierige Situation der Geflüchteten, die ohnehin nur über begrenzte Ressourcen verfügen.

Geflüchtete und Rückkehrer:innen harren im Aufnahmezentrum Joda aus. © JRS (Jesuit Refugee Service)
Was würden Sie potenziellen Spender:innen sagen, warum es wichtig ist, nicht nur Menschen im Sudan, sondern auch im Südsudan zu helfen?
Die humanitäre Lage im Südsudan bleibt äußerst kritisch. Im Jahr 2024 werden schätzungsweise neun Millionen Südsudanes:innen humanitäre Hilfe benötigen, darunter 2,2 Millionen Binnenvertriebene. Die geringe Finanzierung humanitärer Maßnahmen im Südsudan deckt den hohen Bedarf nicht ab, wobei die Geflüchteten hiervon am stärksten betroffen sind, da sie keinen ausreichenden Zugang zu Unterkünften, Nahrungsmitteln, sauberem Trinkwasser sowie Gesundheits- und Bildungsdiensten haben – mit verheerenden Folgen vor allem für Kinder und Jugendliche sowie Frauen. Partnerorganisationen berichten von einer Zunahme der Suizidversuche in Aufnahmezentren aufgrund der prekären Bedingungen. Das ist ein erschütterndes Zeichen der Verzweiflung und des Mangels an Hoffnung angesichts der Unsicherheit und langanhaltender Krisen. Frieden und Sicherheit bleiben nach wie vor fragil und erfordern sowohl humanitäre Soforthilfe als auch die Schaffung von Perspektiven, insbesondere für junge Menschen.
Gibt es ein Thema, das Ihrer Meinung nach bislang zu wenig Aufmerksamkeit erhalten hat, aber entscheidend für die zukünftige Entwicklung im Südsudan ist?
Die Situation von Menschen mit Behinderungen in Konflikten ist erschütternd. Oft sind sie überproportional von den Auswirkungen betroffen, erhalten aber nur selten die notwendige Unterstützung. Trotz ihres erhöhten Bedarfs werden kaum Mittel bereitgestellt, um ihre spezifischen humanitären Bedürfnisse zu decken. Diese besonders vulnerable Gruppe muss stärker berücksichtigt werden in der humanitären Hilfe, nicht nur aktuell im Südsudan und Sudan, sondern generell im Kontext von Krisen und Konflikten.