Der Winter droht die humanitäre Lage in der Ukraine zu verschärfen

Vereiste Fläche in der sich Bäume spiegeln.

Auf bis zu -20 Grad können die Temperaturen in der Ukraine fallen. © terre des hommes

Malgorzata Biczyk, Ukraine-Referentin bei terre des hommes

Malgorzata Biczyk, Ukraine-Referentin bei terre des hommes

Malgorzata Biczyk ist die Referentin für die Projektarbeit in der Ukraine bei unserer Mitgliedsorganisation terre des hommes. Bis Januar 2022 hat sie für einige Jahre in Charkiw gelebt. Sie schildert, welche Herausforderungen der Winter für die Menschen in der Ukraine bringt und welche Hilfe jetzt dringend gebraucht wird.

Welche Folgen hat der kommende Winter für die Menschen in den Kriegsgebieten?

Malgorzata Biczyk: Frostige Temperaturen gehören zum Winter in der Ukraine dazu. Im Osten zum Beispiel sind minus 20 Grad keine Seltenheit. Nach den Zerstörungen der letzten Monate bringt die Kälte dieses Jahr zusätzliche Herausforderungen für die Zivilbevölkerung, die ohnehin schon massiv unter dem Krieg leidet. Viele Häuser haben keine Fenster mehr. Fenster werden notdürftig mit Plastikfolien zugeklebt oder mit Brettern zugenagelt, aber dann kommt kein Licht in die Wohnung. Besonders besorgniserregend mit Blick auf den Winter ist die Situation in den Gebieten, die von der russischen Armee besetzt waren. In Isjum zum Beispiel ist das zentrale Heizsystem ausgefallen und es sind bis zu 70 Prozent der Infrastruktur beschädigt. Für den Wiederaufbau bleibt nun nicht genug Zeit.

Insgesamt hat die Versorgung in einigen Regionen schon vor dem Kriegsausbruch nur bedingt funktioniert. Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und die Plattenbauten sind zwar meist an zentrale Heizwerke angeschlossen, aber viele Familien nutzen zusätzlich elektrische Heizlüfter oder Ölöfen. Diesen Winter kommt hinzu, dass die russische Armee Elektrizitätswerke in vielen Regionen bombardiert und schwere Schäden verursacht hat. Fast 30 Prozent der Strom-Infrastruktur sind dabei zerstört worden. Ohne Elektrizität funktionieren viele kommunale Versorgungsdienste wie Heizwerke, Wasserversorgung und Abwasser nicht.

Was bedeutet die angespannte Versorgungslage für die Menschen?

Familien mit eigenen Häusern und funktionierenden Heizungen könnten nach wie vor heizen, aber viele können sich den Brennstoff nicht mehr leisten. Sie haben keine Arbeit und verdienen nichts mehr. Für Mieter:innen bieten Kohle- oder Holzöfen eine Möglichkeit, irgendwie an Wärme zu kommen. Diese Öfen sind jedoch nicht ungefährlich in der Nutzung und erhöhen das Risiko von Bränden und Kohlenmonoxidvergiftungen, wenn der Umgang damit nicht bekannt ist. Generell droht den Menschen, dass es permanent kalt ist, und ohne Elektrizität gibt es auch kein warmes beziehungsweise gar kein Wasser.

Welche Hilfe brauchen die Menschen nun am dringendsten?

Die Menschen müssen gegen die Kälte geschützt werden, das heißt die Winterhilfe muss anlaufen und ausgebaut werden. Die Vorbereitungen laufen dafür schon seit Monaten, das heißt es müssen Heizgeräte und Generatoren besorgt und die Finanzierung dafür gesichert werden. Zudem müssen Familien aus bombardierten und zerstörten Regionen besonders jetzt im Winter evakuiert und in sicherere Regionen mit warmen Unterkünften weiter in den Westen gebracht werden. Für die Evakuierungen braucht es Geld für Kraftstoff, Fahrzeuge sowie Fahrer:innen und Unterstützung beim Ankommen in den neuen Unterkünften. Außerdem ist zu erwarten, dass bei den kalten Temperaturen der Bedarf nach medizinischer Versorgung und Medikamenten steigt.

Welche Winterhilfe leistet terre des hommes zusammen mit seinen Partnerorganisationen in der Ukraine?

Wir stellen unserer Partnerorganisation Vostok SOS Geld für große Zelte, Heizgeräte und Generatoren bereit. Damit werden Wärmezentren aufgebaut und ausgestattet. In den Zentren soll es separate Bereiche für Kinder geben, in denen sie ohne Angst spielen und schlafen können. Auch Betreuer*innen sollen vor Ort sein, sich um sie kümmern und zum Beispiel bei den Schularbeiten helfen.

Außerdem wollen wir Öl-, Kohle- oder Holzöfen finanzieren, möglicherweise auch größere Heizungen für Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser, die vom zentralen Heizsystem unabhängig laufen. Sehr arme Haushalte mit Kindern, die in kleinen Familienhäusern wohnen, sollen Geld für Brennstoff erhalten. In den Gebieten der Zentralukraine, die im Sommer von der russischen Armee besetzt waren, übernehmen wir in Abstimmung mit unseren Partnerorganisationen die Kosten, um 200 Häuser, in denen kleine Kinder wohnen, mit einem Fenster auszustatten. So sollen wenigstens einzelne Räume vor der Kälte geschützt sein.

 

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