Pandemie in Mexiko: Neue Herausforderungen – Alte Probleme

Knapp 130 Millionen Menschen leben in Mexiko – dem drittbevölkerungsreichsten Land in Amerika. Durch die geographische Lage auf dem sogenannten pazifischen Feuerring sind weite Teile der mexikanischen Pazifikküste von Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüchen bedroht. In Folge zweier verheerender Erdbeben im September 2017 starben insgesamt 467 Menschen – mehr als 1,4 Millionen Menschen waren durch die Auswirkungen der Beben direkt betroffen. Auch Wirbelstürme und Überschwemmungen sind regelmäßig auftretende Phänomene in der gesamten Region.

Mexiko gehört zu den größten Volkswirtschaften weltweit. Dank eines kontinuierlichen Bevölkerungswachstums, einem stetigen Ausbau der Infrastruktur, einer wachsenden Mittelschicht sowie einer Fülle an natürlichen Ressourcen und konstant niedriger Arbeitslosigkeit gilt ein langsames, aber stetiges Wirtschaftswachstum auch in den kommenden Jahrzehnten als wahrscheinlich. Der WeltRisikoIndex stuft die gesellschaftliche Vulnerabilität Mexikos gegenüber extremen Naturereignissen als moderat ein.

Obgleich der insgesamt positiven wirtschaftlichen Entwicklung Mexikos, bleibt die große Kluft zwischen Arm und Reich weiter bestehen. Die Ungleichheit in der Bevölkerung zeigt sich besonders deutlich zwischen urbanen und ländlichen Regionen. Vor allem indigene Bevölkerungsgruppen im Süden des Landes profitieren nur wenig vom nationalen Wirtschaftswachstum. Viele einkommensschwache Familien sind auf finanzielle Hilfe durch im Ausland lebende Familienangehörige angewiesen.

Die soziale Ungleichheit spiegelt sich auch im Zugang zu Gesundheitsleistungen wider. Das mexikanische Gesundheitswesen basiert auf einem System aus öffentlichen und privaten Krankenversicherungen. Zudem gibt es einen öffentlichen Unterstützungsdienst für Nichtversicherte. Zwar ist die Finanzierung des Gesundheitssystems in den letzten Jahren ausgebaut worden, die nationalen Gesundheitsausgaben liegen jedoch weiterhin unter dem lateinamerikanischen Durchschnitt. Aufgrund unzureichender Ressourcen des öffentlichen Gesundheitssektors besteht eine starke Nachfrage nach privaten Gesundheitsleistungen – Gesundheitsausgaben aus eigener Tasche sind hoch. Für Menschen mit geringem Einkommen ist der Zugang zu guter Gesundheitsversorgung dementsprechend erschwert. Auch dies betrifft vor allem Menschen in ländlichen Regionen und insbesondere indigene Bevölkerungsgruppen.

Pandemie verschärft bestehende Ungleichheiten

Wie in zahlreichen anderen Staaten, unter anderem in Deutschland, wurde die Gefährlichkeit des Coronavirus SARS-CoV-2 auch in Mexiko Anfang 2020 noch unterschätzt. Am 28. Februar 2020 wurde der erste Corona-Fall in Mexiko offiziell bestätigt – etwa einen Monat nachdem die ersten Fälle in Deutschland bekannt wurden. Während Mitte März zahlreiche Nachbarländer Mexikos bereits umfassende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf den Weg gebracht hatten, agierte die mexikanische Regierung um Präsident Andrés Manuel López Obrador weiterhin zurückhaltend und mit anhaltender Skepsis gegenüber der Gefahr durch das Coronavirus. Im Kontext steigender Neuinfektionen und wachsender Kritik an der nationalen Corona-Strategie und der Risikokommunikation der Regierung wurde Ende März schließlich ein nationaler Gesundheitsnotstand ausgerufen. In der Folge wurde eine Reihe unterschiedlicher Infektionsschutzmaßnahmen verhängt, darunter Reisebeschränkungen, Social Distancing und Schulschließungen.

Trotz dieser Kurskorrektur stiegen die Infektionszahlen in den darauffolgenden Wochen weiter an. Ende Juni hatten sich bereits mehr als 200.000 Menschen in Mexiko mit dem Coronavirus infiziert. Zur gleichen Zeit überholte Mexiko Deutschland erstmals hinsichtlich der Gesamtzahl der Infektionen seit Ausbruch der Pandemie. Im Juli 2020 war Mexiko bereits das Land mit den drittmeisten Corona-Toten weltweit.

Auch in der zweiten Jahreshälfte 2020 stieg die Zahl der Corona-Infektionen in Mexiko weiter stark an. Am 24. Dezember startete Mexiko als erstes Land in Lateinamerika eine nationale Impfkampagne gegen das Coronavirus. Die Todesrate mit derzeit 8,5 Prozent ist weiterhin sehr hoch. Bis Ende Januar 2021 sind insgesamt fast 160.000 Menschen in Mexiko an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben. Im Vergleich zu den Vorjahren liegt in 2020 eine sehr hohe Übersterblichkeit vor.

Auch die Corona-Pandemie verdeutlicht die große Ungleichheit im Land. Nicht alle Menschen sind von den Folgen der Krise gleichermaßen betroffen. Menschen mit geringem Einkommen können sich hochwertige Atemschutzmasken, Infektionstests und Gesundheitsleistungen oft nicht leisten. Beschäftigte im informellen Sektor ohne finanzielle Rücklagen haben häufig keine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, ohne sich selbst zu gefährden – Homeoffice ist für viele Menschen aufgrund der Art ihrer Tätigkeit und zwecks mangelnder Ressourcen keine Option. Die verbreitete Skepsis gegenüber der Qualität des öffentlichen Gesundheitssektors führt zudem dazu, dass angebotene Gesundheitsleistungen häufig nicht in Anspruch genommen werden.

Mexiko ist eine der wenigen großen Wirtschaftsnationen, die keine zusätzlichen finanziellen Hilfen für Menschen mit geringem Einkommen bereitgestellt hat. Dementsprechend sind arme und benachteiligte Bevölkerungsgruppen in mehrfacher Hinsicht überproportional stark von der Pandemie betroffen – wirtschaftlich wie auch gesundheitlich. Der Anteil der Corona-Infizierten die letztlich an den Folgen der Viruserkrankung versterben ist in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen deutlich höher als in privaten Krankenhäusern. Indigene Bevölkerungsgruppen und Menschen mit geringem Einkommen haben aufgrund der schlechteren Gesundheitsversorgung ein höheres Risiko an den Folgen einer Corona-Erkrankung zu sterben als wohlhabende nicht-indigene Bevölkerungsgruppen.

Im Rahmen dieser Spotlight-Reihe beleuchten wir die aktuelle  Situation in verschiedenen Projektländern unserer Mitgliedsorganisationen. Neben den akuten Herausforderungen durch die Corona-Pandemie, thematisieren wir auch tieferliegende strukturelle Probleme mit denen die Menschen konfrontiert sind. Zudem geben wir Einblicke in die Arbeit unserer Mitgliedsorganisationen während der Corona-Krise. Mexiko ist das erste Land unserer Spotlight-Reihe.

Bündnis-Arbeit in Mexiko

Unter den Mitgliedern im Bündnis Entwicklung Hilft sind derzeit Brot für die Welt, medico international, Misereor und terre des hommes in Mexiko aktiv und arbeiten mit mexikanischen Partnerorganisationen zusammen. Im Fokus der Arbeit stehen unter anderem die Themen Migration, Bildung, ökologische Landwirtschaft, Schutz vor Gewalt sowie die Einhaltung der Menschenrechte. Auch während der Pandemie führen sie ihre Projekte unter Einhaltung der Corona-Maßnahmen fort.

Das Bündnis-Mitglied terre des hommes ist seit Langem in Mexiko aktiv und arbeitet eng mit lokalen Partnerorganisationen in der Hauptstadt Mexiko-Stadt sowie in der Millionen-Metropole Puebla zusammen. Im Fokus steht die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die auf der Straße leben. Allein in Mexiko-Stadt haben schätzungsweise 30.000 Kinder kein Zuhause – viele davon gehören indigenen Minderheiten an. Aufgrund schlechter Lebensbedingungen in den ländlichen Regionen ziehen immer mehr Menschen in die großen Metropolen des Landes.

Während der Corona-Krise konzentriert sich die Arbeit von terre des hommes auf fünf Stadtteile in Mexiko-Stadt, deren Bewohner:innen  besonders von den Folgen der Pandemie betroffen sind. Neben medizinischer und materieller Versorgung werden die Menschen auch durch psychosoziale Unterstützung in der Krise begleitet. Zudem erhalten die Kinder und Jugendlichen Bildungs- und Ausbildungsangebote und werden bei der Vertretung ihrer Interessen gegenüber den Behörden unterstützt.

Auch terre des hommes stellt die ungleiche Belastung der Bevölkerung durch die Pandemie fest. Im Rahmen einer Befragung von 154 Kindern und Jugendlichen in den Projekten von terre des hommes in Mexiko beklagten die Befragten mangelnde Partizipationschancen an Online-Unterricht und Lehrveranstaltungen wegen fehlender mobiler Endgeräte und unzureichendem Internetzugang.

Die hohe Belastung durch die Pandemie für vulnerable Gruppen und insbesondere Kinder und Jugendliche zeigt sich auch in vielen anderen Ländern Lateinamerikas, in denen die Bündnis-Organisationen aktiv sind. Neben dem mangelnden Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildungsveranstaltungen und finanziellen Hilfsprogrammen stellt auch der Anstieg häuslicher Gewalt gegenüber Kindern, Jugendlichen und Frauen ein großes Problem in der Pandemie dar.